Eine Bilderreihe von 2-teiligen quadratischen Ogrody-grün Gemälden meistens in den Formaten 2,50 x 2,50 m die jeweils nach der Vorlage von reelen, meist ottonischen Kruzifixen gemalt wurden.
Aus einer Rede für die Vernissage in der St. Lamberti-Kirche, Oldenburg, 1998:Die Bilder, Bestandsaufnahme Zwei große Altarbilder zeigen den toten Christus auf 250 x 250 cm. Technik: Ogrody auf Leinwand mit grünen Tinten, teilweise gespritzt auf den Malgrund gebracht.
Und dann diese grünen Bilder, Ogrody. Seit 1993 sind sie ein Patent des Künstlers, eingetragen seit dem Juli 1998, Grüne, schwarze und weiße Tuschen auf Leinwand. Die Farbe wird nur in homöopathischen Dosen verwendet, sagt Gassmann, und nur zu besonderen Zeiten. Diese Bilder scheinen kein Alltagsgeschäft zu sein. Ein grünes Christusbild hängt seit Januar dieses Jahres in der Neustädter Hof- und Stadtkirche St. Johannis in Hannover.
Das ChristusbildAuf den hier gezeigten Bildern wirkt die Christusfigur schwebend, gleitend und flächig. Es fällt seine labile, weiche Form ins Auge. Die Extremitäten tauchen in die Farbe und wieder auf. Sein Haupt ist geneigt, der Rumpf gebeugt und die Füße stehen leicht nebeneinander. Die Konturen der Licht-Schatten-Figur sind fließend. Es ist kein Kreuz zu sehen, noch Assistenzfiguren. Das Bild gibt keinen Boden an, keinen Himmel, keine Erde. Der Christus ist pur in dieser Fläche, vor dieser Fläche. Der Stil, die Maltechnik wird hier zum Medium des Verstehens. Seine Oberflächenstruktur monochrom grün erinnert an planetares, fossiles, besitzt kraterhaftes, in einer Sehmöglichkeit, die von der eigenen Umwelt bis zum Universum ausgehen kann. Ein Grün wie das blau von Yves Kein. “IKB³. International Klein Blue. Ebenso patentiert. Die hauchdünnen Lasuren der Tinten gehen vom Schwarz zum Grün, zum Weiß, zum Grün im Grün. Das Schwarz ist die tiefliegendste Schicht und das Helle die Oberste. Gassmann arbeitet von unten nach oben im Negativ-Verfahren. Wie Picasso in seinen Lithos zu “Toros y Toreros³. In dieser Lithographenflächigkeit entsteht eine große Transparenz und Durchlässigkeit. Ich denke an Sedlmayr, wie er in der Architektur der gotischen Kathedrale spricht von “diaphaner Struktur³, dem Durchscheinenden und Durchsichtigen. Das schenkt der Christusfigur eine Größe in der Unendlichkeit. Mit dem Urgrund passiert ein Eins-Sein und eine Verschmelzung. William Turner spricht vor den Bildern Rembrandts bewundernd von der “mystic shell of colours³. Eine solche mystische Farbenhülle, vielleicht Farbengrund sehe ich auch hier.
Eine AnnäherungJacques Gassmann verzichtet auf das essentielle Zeichen des Kreuzes. Er löst die Christusgestalt vom Kreuz, was hier wörtlich zu nehmen ist: Seine Urbilder sind ganz bestimmte Ottonische, gotische und zeitgenössische Kruzifixe.
Im Anblick der Körperhaltungen, des wie umarmenden Herabgleitens denke ich an die Kreuzabnahme von Antelami im Dom zu Parma. Wie die Hand de herabgleitenden, rechten Armes sich auf das Haupt Mariens legt, vom Engel geführt und wie die Last des Körpers von Nikedemus aufgenommen wird.
Im Anblick der schemenhaften Schmächtigkeit des Corpus denke ich an die Pietá Rondanini, die letzte Arbeit Michelangelos. Wie nach den muskulösen Athletengestalten diese schmale Christusfigur in ihrer körperlichen Konsistenz nunmehr die Idee des Christus vor dem Schoß der Mutter ausspricht.
Ich verfolge in meinen Gedanken einen Vergleich zu den Arbeiten von Arnulf Rainer. Arnulf Rainer wählt einen ganz bestimmten, als Kultbild hochverehrten Kruzifix aus, den Gero Kruzifix und denjenigen aus St. Georg zu Köln. Er übermalt ihn, malträtiert ihn, schindet ihn und vollzieht somit eine zweite Passion. Das ist eine atemberaubende Möglichkeit, die Passion heute darzustellen, und streitbar.
Jacques Gassmann geht anders vor. Er wählt einen Kruzifix, dessen Identifizierung fast zweitrangig wird, löst ihn aus seinem materiellen und medialen Kontext und gestaltet ihn aus der Tiefe nach vorn. Also kein Umgang mit einem bestimmten Christusbild und keine Übermalung wird durch den Künstler vorgenommen. Im Ersten scheint die Gestalt des Christus in Auflösung begriffen zu sein. Die Konturen verweben sich mit dem Untergrund. Auch die Binnenfläche verwebt sich mit dem Grund. Ich denke an das non finito, das Unvollendete in der bildenden Kunst. An Schuberts “Unvollendete³, an Michelangelos non finiti, an Rodin, an alles Fragmentarische, das gleichwohl vollendet ist, weil die Idee zum Werk vollendet ist. Ogrody heißt Garten auf Polnisch im Singular wie im Plural. Gassmann hat diesen Begriff für sich als Technik requiriert und zum Sonderprogramm gestaltet. Wie weit der Begriff Garten zu spannen ist, mag man im Sakralen und im Profanen horizontal und vertikal gleichermaßen begreifen.
Grün heißt Leben und ist die älteste Symbolfarbe, nicht nur im kirchlichen Kontext. Ich begreife über das Medium die Farbe und über diese dezidierte maltechnische Vorgehensweise, den werkkünstlerischen Prozess, die Aussage; den irdisch gestorbenen Christus als Leben, als Heiler, der sich uns zuneigt.
Ich habe das Gespür, um das Wort “ich glaube” zu vermeiden, ich habe also die feste Vorstellung, dass Jacques Gassmann im Prozess des Heutigwerdens der Kirche für die bildende Kunst eine ganz wesentliche Rolle spielt und spielen wird.
Prof. Dr. Melanie Luck- von Claparede, Oldenburg, 1998